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Für Qualitätssicherung und Verbraucherschutz – FAZ-Artikel von Heiner Farwick

31. Juli 2015

Mindesthonorare für Architekten und Ingenieure sind mit dem EU-Recht vereinbar. Dennoch will die EU-Kommission sie abschaffen. Das wäre ein Nachteil für die Baukultur – aber so weit wird es wohl nicht kommen.

Von Heiner Farwick

BERLIN, 30. Juli. Der Wunsch nach mehr bezahlbaren Wohnungen ist heute weit verbreitet. Aber er ist nicht neu: Schon in den siebziger Jahren waren Wohnungen rar, auch damals schon wurden sie immer teurer. Geplant wurden sie von vergleichsweise wenigen Architekten und Ingenieuren. Um die Honorare dieser Berufsgruppen nicht unverhältnismäßig ansteigen zu lassen, hatte die Bundesregierung damals ein Gesetz beschlossen, mit dem diese Honorare gedeckelt werden. Daraus entstand die „Honorarordnung für Architekten und Ingenieure” (HOAI) von 1977, deren Grundzüge auch in der aktuell gültigen HOAI 2013 noch enthalten sind. Doch inzwischen hat sich die Funktion der Honorarordnung gewandelt: Heute spricht man in Zusammenhang mit der HOAI nicht mehr so sehr über die Maximalhonorare, sondern über die darin ebenfalls geregelten Mindesthonorare. In diesen vermutet die EU-Kommission nämlich eine Diskriminierung ausländischer Architekten, die mit den Mindestsätzen der HOAI vom deutschen Markt ferngehalten würden. Deswegen hat die EU-Kommission die Bundesregierung in einem Vertragsverletzungsverfahren zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Regierung wird diese Stellungnahme abgeben, die Frist läuft noch bis zum 30. September. Wenn sie die EU-Kommission nicht überzeugt, könnte sie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Bundesrepublik klagen.

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Heiner Farwick, BDA-Präsident

Der Berufsstand der Architekten, die Kammern und der Bund Deutscher Architekten (BDA) haben indes gute Argumente für eine Beibehaltung der HOAI und der darin enthaltenen Mindestsätze. Sie können dabei auf gewichtige Unterstützung zählen: Das Bundeswirtschaftsministerium – und damit die Bundesregierung – sieht die Sache nämlich genauso. Umso unverständlicher, dass es im laufenden Verfahren Stimmen gibt, die glauben, das Ergebnis eines möglichen EuGH-Urteils vorwegnehmen zu können und die Mindestsätze als „nicht mehr zu halten” bezeichnen.

Warum ist diese Honorarordnung so wichtig? Warum soll in einer Marktwirtschaft der Staat Preise regulieren? Und was hat das mit den Interessen der Menschen zu tun, die ein Haus bauen wollen oder eine bezahlbare und dennoch gute Wohnung suchen? Nun, die Architekten – und nicht nur sie – sind davon überzeugt, dass die Honorarordnung dem Verbraucherschutz dient und die Qualität des Planens und Bauens und somit der gebauten Umwelt sicherstellt. Auch in anderen Berufsgruppen wie bei Ärzten oder Rechtsanwälten gibt es Gebührenordnungen. Bei den niederländischen Zahnärzten war die Gebührenordnung auf Druck der EU- Kommission zwischenzeitlich gestrichen – und nach nur einem halben Jahr wieder eingeführt worden: Zu offensichtlich war der Qualitätsverfall. Auch die Architekten stehen nicht in einem Preis-, sondern in einem Leistungswettbewerb. Als Angehörige der Freien Berufe sind sie keine Gewerbetreibenden, die mit günstigen Preisen Kunden anlocken müssen. Nicht der billigste Architekt soll das Haus planen, sondern der mit der besten Lösung. Eine Honorarordnung soll ihm ein betriebswirtschaftliches Auskommen sichern, ohne dass er sich einem ruinösen Preiswettbewerb aussetzen und daraus folgend an der Sorgfalt sparen müsste. Immer weiter steigende Anforderungen an das Planen und Bauen würden dies auch nicht erlauben. Nachhaltige, gut gestaltete Bauten mit hohem Wohn- und Nutzwert und gelungener städtebaulicher Einbindung will und muss der Architekt planen können – kurzum: Qualität bauen.

Die Honorarordnung gilt nur bei Baukosten zwischen 25000 und 25 Millionen Euro. Darüber und darunter sind Honorare ohne die Leitplanken der HOAI verhandelbar. Es geht also um den Schutz der kleinen und mittleren Bauherren, die oft wenig Erfahrung in dieser Rolle haben. Durch die Leistungsbilder der HOAI werden sie vor Pfuschplanungen genauso geschützt wie vor juristisch spitzfindigen, für sie nachteiligen individuellen Vertragskonstruktionen. Das alles fällt unter das Stichwort Verbraucherschutz. Zusammengefasst: Die HOAI mit ihren Honorar-Mindestsätzen ist aus Sicht der Architektenschaft durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

Die HOAI ist 2009 und 2013 novelliert und dabei kompatibel zum EU-Recht gemacht worden. Dennoch versucht die EU-Kommission, durch das Vertragsverletzungsverfahren die Honorarordnung zu beseitigen. Sie setzt den Hebel bei der angeblichen Benachteiligung ausländischer Architekten an. Doch die HOAI ist eine reine Inländerregelung, sie gilt gar nicht für Architekten mit Geschäftssitz im Ausland: Architekten aus dem EU-Ausland dürfen heute schon ihre Leistungen in Deutschland zu freien Preisen anbieten, dafür sorgen die Dienstleistungsfreiheit und unsere liberale Berufsanerkennungspraxis. Dass sie es dennoch nicht in nennenswertem Umfang tun, ist also offensichtlich nicht auf die Honorarordnung zurückzuführen, sondern vielmehr auf baukulturelle Unterschiede zwischen den Ländern, auf Baunormen und -traditionen, auf sehr verschiedene Berufsbilder, Haftungsregeln und nicht zuletzt auch auf Sprachbarrieren. Schließlich kommen in Ländern ohne Mindestsätze beim Honorar auch nicht mehr grenzüberschreitende Beauftragungen zustande als hierzulande – ein starkes Indiz dafür, dass es jedenfalls nicht die Mindestsätze sind, die einer Beauftragung ausländischer Architekten entgegenstehen. Bei einer Unterschreitung der Mindestsätze ist es offensichtlich auch Büros aus anderen EU-Ländern nicht möglich, die in Deutschland geforderte Qualität auskömmlich liefern zu können.

Es drängt sich also der Verdacht auf, dass es sich bei den Aktivitäten der EU-Kommission um rein politisch motivierte Versuche handelt, gegen jedwede Honorarordnung bei den Freien Berufen vorzugehen, nachdem Deutschland – anders als die meisten EU-Mitgliedsstaaten – entsprechendem Druck nicht nachgegeben hat. Dies wohl auch deshalb, weil das System der freien Berufe in Deutschland sehr gut funktioniert und im besten Sinne mittelstandsfördernd ist. Das Gegenteil kann man in Dänemark beobachten: Durch den Wegfall der dortigen Mindesthonorare sind viele kleine und mittlere Architekturbüros ruiniert worden – zugunsten der ganz großen Architekturfirmen, die jetzt den Markt beherrschen. Aus Sicht der Architektenschaft ist zu wünschen, dass die Antwort der Bundesregierung die EU-Kommission überzeugt. Sollte dies nicht gelingen, müsste der EuGH damit befasst werden.

Doch dem können die Architekten gelassen entgegensehen: Bisher hat der EuGH – im Gegensatz zur EU-Kommission – eine Honorarordnung jedenfalls nicht für offensichtlich ungeeignet gehalten, die Qualitätssicherung aufrecht zu halten.

Der Autor ist Freier Architekt und Stadtplaner und Präsident des Bundes Deutscher Architekten BDA. Sein Beitrag ist eine Erwiderung auf den Artikel „Architekten werden unter Druck geraten” des Hamburger Juristen Friedrich-Karl Scholtissek in der F.A.Z. vom 10. Juli.
(erschienen in der FAZ vom  31. 7. 2015, S. 13)